Bericht von Ralf Dujmovits
Liebe Freunde,
14 Tage sind seit unserem letzten newsletter vergangen. 14 Tage mit schlechtem bis sehr schlechtem Wetter. In einem seiner Wetterinfos hatte uns Charly Gabl – Freund und Meteorologe mit
Kultstatus – zum Beispiel am 11. Mai geschrieben: Wind on Top: MI: W 140 km/h, DO: W 135 km/h, FR: WSW 110 km/h. Auch hier in unserem Basislager hatte es uns ordentlich geschüttelt: zwei Mal wäre
bei schweren Sturmböen fast das Küchenzelt weggeflogen. Im ABC am tibetischen Normalweg hat es zahlreiche Zelte zerstört, ganze Messzelte samt schweren Solaranlagen flogen durch die Lüfte.
Gestern und vorgestern nun waren endlich wieder brauchbare Tage und so sind Gerlinde und ich nochmals an den Fuß der Everest-Nordwand gegangen: zum einen um die Akklimatisation aufzufrischen, zum
anderen aber auch um die Eisverhältnisse in der Nordwand nach den Schlechtwettertagen zu testen.
Schon im Zustieg verschwand Gerlinde beim Vorausgehen zweimal in zugewehte Gletscherspalten. Die Neuschneeauflage von durchschnittlich 10 – 15 Zentimeter war stellenweise so stark verblasen, dass
selbst größere Spalten nicht mehr zu erkennen waren.
Trotzdem konnten wir nach 5 Stunden unser kleines Depot auf dem Gletscherplateau unter der Nordwand erreichen. Auch bei den Temperaturen sollte Charly wie immer recht behalten: in seinem Mail vom
14. Mai hatte er geschrieben: Allerdings sind im Gipfelbereich für den Samstag (also vorgestern, 15.Mai) noch -35 °C lt. Modell zu erwarten. Das langfristige Modell, wie gut das auch stimmen
mag, zeigt für den 22.Mai ein Minimum von -29 °C mit der Tendenz noch steigend an.
Es war eine eisige Nacht; schon bei Sonnenuntergang hatte es -15°C. Umso froher waren wir als gestern morgen (16. Mai), die Sonne unser kleines Zelt erreichte. Ruckzuck hatten wir gefrühstückt,
die Rucksäcke gepackt und waren auf dem Weg zum Einstieg der Nordwand. Ein völlig veränderter Bergschrund erwartete uns: wo sich das letzte Mal noch ein 40 Meter tiefer Abgrund aufgetan hatte war
dieses Mal eine geschlossene Schneebrücke mit einem 30 Zentimeter breiten Einriss. Die einzige Möglichkeit das senkrechte Eis zu erreichen. Die Verhältnisse waren besser und sicherer als das
letzte Mal – ein 20 Qubikmeter großer Eisserac war herunter gebrochen und bedrohte den Aufstieg nicht mehr.
Vier Eisschrauben später stand ich an der Oberkante des Eisabbruchs. Was dann kam war ziemlich spannend: Die beiden Eisgeräte in unsicherer Schneeauflage oberhalb der Kante gesetzt, stürzte wie
aus heiterem Himmel eine minutenlange Spindriftlawine (siehe Bild) auf mich nieder. Es fehlte die Luft, die um die Griffe der Eisgeräte gespannten Hände wurden allmählich lahm und die Füße – noch
im senkrechten Eis – waren nicht mehr zu sehen und zu spüren. Endlich ließ der Spindrift nach und ich konnte mich über die Kante in etwas flacheres Gelände retten. Kaum hatte ich eine Eisschraube
gedreht kam die nächste Ladung Spindrift. Gerlinde bereits im Nachstieg. Prost! Als sie über die Kante und an den Stand kam sah sie aus wie ein Schneemann.
Wir stiegen noch ein paar Seillängen weiter und seilten dann an Abalachow-Eissanduhren ab.
Am Abend zurück im Basislager dann das entscheidende Gespräch: Gerlinde würde gerne bei der nächsten Schönwetterphase mit den aktuellen Verhältnissen den Durchstieg durch die Wand wagen wollen.
Mir geht es ganz anders: Die Schneebedeckung der letzten Schlechtwetterperiode hat sich wegen der tiefen Temperaturen nur an wenigen Stellen mit dem darunter liegenden blauen Blankeis verbunden.
D.h. wir würden uns an vielen Stellen gegenseitig sichern müssen, was sehr viel zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen würde. Damit wäre abzusehen, dass wir öfter als die beiden vorgesehenen Male in
der Wand biwakieren müssten. Weitere brauchbare Biwakplätze sind keine vorhanden, aus dem Eis welche herauszuhacken braucht Stunden und sehr viel Kraft und an die nötige Erholung wäre auf solchen
Miniplätzen nicht zu denken. Eine Schönwetterperiode von mehr als drei Tagen zu erwischen wäre zudem äußerst ungewiss. Selbst schwacher Wind führte dazu, dass der locker aufliegende Schnee im
Japaner-Couloir als große Mengen Spindrift herunterkämen, – was das Vorwärtskommen wiederum gefährlicher und langsamer machen würde.
Für mich kommt der Wanddurchstieg nicht in Frage und so habe ich Gerlinde gebeten mit mir über die Odellroute auf 7200m auf den N- bzw. NO-Grat auszuweichen. Diesen bis zum Gipfel ohne
Zusatz-Sauerstoff zu erreichen ist immer noch Herausforderung genug. Die Wahrscheinlichkeit gesund im Basislager anzukommen ist dabei deutlich größer.
Ich muss einsehen, dass ich nicht mehr so wagemutig bin wie in jungen Jahren. Vielleicht sehe ich mit jahrzehntelanger Erfahrung aber auch die Risiken und Gefahren zu sehr im Vordergrund.
Vielleicht habe ich in den langen Jahren des Unterwegs-Seins auch zu viele tödliche Unfälle an den höchsten Bergen gesehen. Vielleicht ist es auch alles zusammen genommen, was mir einen
Durchstieg nicht erlaubt.
Auf jeden Fall wird Gerlinde auf die Wand, auf die wir uns so lange vorbereitet haben, mir und meiner Intuition zu Liebe verzichten.
Charly sagt für die Tage nach dem 22. Mai ein paar windschwächere Tage voraus. Vielleicht ist unsere Zeit für einen Gipfelaufstieg dann doch gekommen.
Mit einem herzlichen Gruß aus unserem einsamen Basislager,
Ralf Dujmovits